Manchmal erfinde ich eine Geschichte. Kurz darauf vergesse ich die Geschichte wieder, und wenn ich sie dann nach Wochen oder Jahren wiederfinde, scheint sie zu einer wirklichen Geschichte geworden zu sein, das ist seltsam. Auch weil Geschichten, die einmal erfunden worden sind, sich wie Lebewesen verhalten, sie altern oder werden jünger. Einmal stellte ich mir vor, wie ich in einer Nacht um kurz nach vier Uhr in meiner Küche sitze. Ich trage Handschuhe. Ich schalte mein Tonbandgerät ein und spreche leise vor mich hin, in dem ich ein zerbrechliches Eisbuch in Händen halte. Kaum habe ich eine Seite des Buches abgetastet, lege ich das Buch in den Kühlschrank zurück und spaziere in der Wohnung herum. Ich lasse mir durch den Kopf gehen, was ich gelesen habe, dann kehre ich zurück und lese vor dem Kühlschrank sitzend weiter. Mein Atem dampft, und ich denke noch, eine seltsame Geschichte, das Buch wird nach und nach unter meinen Augen verschwinden, während ich seine Zeichen in meinem Kopf transferiere.
Heute ist der 28. Februar 2020. In den vergangenen Tagen habe ich viel über Noe Moritz Pape nachgedacht, wie er in der kleinen grönländischen Stadt Uummannaq angekommen sein könnte, um fünf Tage später sich wieder auf den Weg zu machen, zu verschwinden, sagen wir, als wäre er ein Buch von Eis. Der junge Forscher war in den Wochen meiner Arbeit an seiner Seite derart wirklich geworden, dass ich um ihn trauerte, dass ich überlegte, wie es wäre, wenn er überleben würde. Ich könnte ihm einen Brief schreiben, ich könnte notieren: Mein lieber Noe Moritz Pape, ich stellte mir vor, wie Du ankommst in der kleinen Stadt Uummannaq hoch im Norden in der Dunkelheit einer Polarnacht, an einem Ort für Dich ohne ein Bild zunächst wie sich die Stadt Uummannaq im Licht des Sommers darstellen wird. Da war eine Nachbarschaft ohne Menschen, aber etwas Licht auf dem Fjord und Deine Berufung, die Dich nach Uummannaq führte zur Polarnachtzeit. Du bist ein sorgfältiger Arbeiter, ich bin froh, dass ich Dich entdecken, dass ich in Gedanken Deine Stimme vernehmen, dass ich Deiner Spur folgen durfte, ehe Du in der Dunkelheit verschwunden bist, ein Wanderer noch immer in der Eisweite des grönländischen Hochlandes. Ich stelle mir vor, wie Du vielleicht irgend wann einmal wieder in Uummannaq ankommen wirst, um nachzusehen wie die kleine Stadt im Licht der Sonne auf Dich wirken wird. Du wirst nach Spuren suchen einer Geschichte, die sich im Dezember 2018 ereignet haben könnte, eine Geschichte, von der Du erzähltest, nachweislich erzähltest, weil Deine Zeilen entdeckt worden sind. So wurde meine persönliche Arbeit erst möglich. Vielleicht wirst Du von mir hören und von der Geschichte der Jennifer.five, weil Dir ein Fischer berichtet von meiner Dokumentation Deiner gefahrvollen Arbeit. Du sitzt nun vor einer Computermaschine, lies mein Freund, und lass von Dir hören. Dein Louis / 28. Februar 2020
/ So könnte es gehen,
zunächst lesen was Noe Moritz
Pape in Uummannaq erlebte >
… oder