sammlung

radargeschichten

Jede Geschich­te, jeder Gedan­ke, jeder Bericht, scheint in dem Moment sei­ner Doku­men­ta­ti­on mit­tels einer Schreib­ma­schi­ne zu einem Lebe­we­sen zu wer­den, das sich mit befreun­de­ten Lebe­we­sen zu unter­hal­ten wünscht. Wei­te­re Gedan­ken und Geschich­ten ent­ste­hen wie aus dem Nichts. Oft habe ich geglaubt, dass ich nicht eigent­lich den­ke oder suche, wenn ich schrei­be, dass viel­mehr, wenn mir etwas ein­fällt, etwas von Außen her­ein­fällt, nicht von Innen her­aus. Es schneit sozu­sa­gen Gedan­ken und Geschich­ten, nie­mals Still­stand, immer­zu Bewe­gung. In einem Moment der Stil­le beob­ach­te­te ich ein­mal ein Bücher­re­gal, das in mei­nem Arbeits­zim­mer steht. Ich mein­te, ein Geräusch wahr­ge­nom­men zu haben, in etwa hör­te sich das so an, als wür­de man ein Ohr an ein Bam­bus­rohr legen, durch wel­ches Kie­sel­stei­ne fal­len. Zunächst mel­de­te sich das Geräusch links oben unter der Decke, wo sich Bücher befin­den, die ich noch nicht gele­sen habe, war­ten­de Bücher, sagen wir, Mah­nen­de. Kurz dar­auf wan­der­te das Geräusch in die Mit­te des Regals, Chris­toph Rans­mayr klim­per­te, John Ber­ger, Janet Frame, Anto­nio Tabuc­chi. Ich hat­te für eini­ge Minu­ten den Ein­druck, das Geräusch oder sei­ne Ursa­che könn­te sich ver­viel­fäl­tigt haben. Wenn nun Fol­gen­des gesche­hen wäre, dass sich die Bücher mei­nes Regals in Funk­bü­cher verwandelten …

… in Bücher, die nur vor­ge­ben Bücher von Papier zu sein, in Bücher also, die über Sei­ten ver­fü­gen, die eigent­lich Bild­schir­me sind, die man umblät­tern kann, dann wäre denk­bar, dass ich jenes typi­sche Geräusch ver­nom­men habe, das in genau dem Moment ent­steht, da der Autor eines Buches mit­tels Funk­wel­len eine erneu­er­te Fas­sung sei­nes Wer­kes in die Zim­mer der Welt ent­sen­det. Ich muss dar­über nach­den­ken, was die Mög­lich­keit oder die Exis­tenz der Funk­bü­cher bedeu­ten wür­de für das Schrei­ben, für das Erfin­den, für Anfang und Ende einer Geschich­te. Und wenn nun Jean Pauls Komet in mei­nem Zim­mer rascheln wür­de, oder Dan­tons Tod, Georg Büch­ner? — Eine Aus­wahl jener Geschich­ten, die im Pro­zess mei­ner Arbeit an Jennifer.five für mich wahr­nehm­bar wur­den und wei­ter­hin wahr­nehm­bar sein wer­den, habe ich an die­sem Ort gesam­melt. Sie sind Rada­re und zugleich sind sie Satel­li­ten­tex­te der Berich­te Joe Ellis und Noe Moritz Papes.

Vom Tas­ten
Par­tic­les
REM-Pha­se

windpapiere

 

 

Ich stell­te mir vor, wie Noe Moritz Pape durch eisi­ge Gegen­den der Insel Grön­land irrt. Er geht zu Fuß über das Eis­schild, zieht einen Schlit­ten hin­ter sich her. Nachts lagert er in Schnee­höh­len. Manch­mal bleibt er vor Ort für eini­ge Tage, schreibt eine Notiz in den Schnee, jagt in den grü­nen Rand­ge­bie­ten der Insel Ren­tie­re und Vögel und Fisch. Es ist denk­bar, dass Noe Moritz Pape nicht ent­deckt wer­den will, dass er nicht zurück­zu­keh­ren wünscht. Er könn­te zu einem Wan­de­rer und Wind­dich­ter gewor­den sein, notiert Gedan­ken, Fra­gen, Wör­ter mit Blei­stift auf Notiz­pa­pie­re, die er an Ort und Stel­le den Win­den über­gibt. Mal wer­den sie nach Wes­ten, mal nach Osten oder Süden getra­gen, um von Wan­de­rern, von Jägern, von Fischern gefun­den zu wer­den. Sie zei­gen nicht nur Schrift­zei­chen, auch fili­gra­ne Zeich­nun­gen von Stür­men, Schnee, Eis, von Walen, wes­halb sie nicht sel­ten gebor­gen und vor Ver­nich­tung bewahrt werden.

Ein­mal erin­ner­te ich mich an eine Geschich­te, die von Mal­colm Lowry erzählt, genau genom­men von sei­ner Art und Wei­se zu schrei­ben, nach­drück­li­cher noch von der Metho­de zu ver­lie­ren, was gera­de eben noch notiert wor­den war. Mal­colm, so der Erzäh­ler der Geschich­te, soll Gedan­ken auf jedes erdenk­li­che Stück Papier geschrie­ben haben, das in sei­ne Reich­wei­te gekom­men war, auf Rech­nun­gen, Spei­se­kar­ten, Bil­letts bei­spiels­wei­se, sofern er in einem Café oder in einer Bar Platz genom­men hat­te, um so lan­ge notie­rend zu arbei­ten, bis er aus­rei­chend betrun­ken gewe­sen war, um damit auf­zu­hö­ren. Wie vie­le Wör­ter und Sät­ze sind wohl vom Wind in Wüs­ten oder auf Mee­re hin­aus getra­gen wor­den, wie vie­le Bücher haben sich in Luft auf­ge­löst? Ich stel­le mir immer wie­der lei­den­schaft­lich ger­ne vor, wie Mal­colm Lowry in unse­rer Zeit sei­ne Zei­chen­ket­ten für die Welt abge­legt haben könn­te. Sagen wir so: Lowry arbei­tet nie wie­der mit einem Blei­stift. Er notiert sei­ne Gedan­ken in eine feder­leich­te, elek­tri­sche Maschi­ne, die am Gür­tel sei­ner Hose fest ver­an­kert wird. Sorg­fäl­tig von sei­ner Ehe­frau Mar­ge­rie Bon­ner pro­gram­miert, ver­bin­det Lowrys per­sön­li­ches Notiz­ge­rät unver­züg­lich Tas­ta­tur mit digi­ta­ler Sphä­re, sobald sich der Autor, gleich wel­cher geis­ti­gen Ver­fas­sung, mit der einen oder der ande­ren Hand nähert. Nun schreibt der Autor. Er arbei­tet, viel­leicht ste­hend, viel­leicht sit­zend, viel­leicht lie­gend. Und wäh­rend er so arbei­tet, wird Zei­chen für Zei­chen sogleich an einen gehei­men Ort der Spei­che­rung gesen­det. Dort, Drop­zo­ne, könn­te man sit­zen und war­ten und betrach­ten, wie Lowrys Text, um den Bruch­teil einer Atom­se­kun­de in der Zeit ver­rückt, voll­zo­gen wird.

/  Moritz Pape berichtete
aus Uum­man­n­aq. Es
herrsch­te Polar­nacht
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walgespräche

Noe Moritz Pape berich­tet von sei­ner Beob­ach­tung eines Fjor­des. Polar­nacht herrscht. Er blickt durch ein Fern­rohr hin zu einem Ort, der von elek­tri­schem Licht hell aus­ge­leuch­tet wird. Dort lie­gen eini­ge Frau­en und Män­ner auf dem Eis. Sie schei­nen, aus gro­ßer Ent­fer­nung betrach­tet, zu lau­schen. Auch sind Tun­nels durch das Eis getrie­ben, Mikro­fo­ne zeich­nen auf, was unter dem Eis im Meer zu hören ist.

Ein­mal notier­te ich Fol­gen­des: Seit ich erfah­ren habe, dass Buckel­wa­le zur Paa­rungs­zeit über eine Spra­che gebie­ten, die ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­chen ähn­lich sein soll, immer wie­der die Fra­ge, was ich unter einer ein­fa­chen mensch­li­chen Spra­che ver­ste­hen könn­te, die atem­lo­se Spra­che der Lust viel­leicht oder die Spra­che der Chat­räu­me? Ob eine die­ser mensch­li­chen Spra­chen viel­leicht geeig­net wäre, sich mit­tels einer Pro­ze­dur der Über­set­zung von Wal zu Mensch zu ver­stän­di­gen? Wir könn­ten uns vom Land und von der Tief­see erzäh­len. Eine gran­dio­se Vor­stel­lung, auf hoher See Luft per­lend vor einem Wal zu schwe­ben und zu war­ten und zu wis­sen, dass er gleich, nach ein wenig Denk­zeit, zu mir spre­chen wird. Etwas also sagen oder sin­gen. Viel­leicht eine Fra­ge: Wie heißt Du, mein Freund? Oder : Ich hör­te von Bäu­men! — Es ist 2 Uhr 10 und ich bin sehr gut gelaunt, weil ich etwas Lich­ten­berg gele­sen habe. Er schreibt um das Jahr 1774 her­um: “Eine Fle­der­maus könn­te als eine nach Ovids Art ver­wan­del­te Maus ange­se­hen wer­den, die, von einer unzüch­ti­gen Maus ver­folgt, die Göt­ter um Flü­gel bit­tet, die ihr auch gewährt wer­den.” – Wie aber soll­te ich einem Wal­freund Abu-Ghraib, Gros­ny, Dar­fur, Sim­bab­we, Tibet und Bur­ma erklä­ren, das Fol­tern, das Okku­pie­ren, das offe­ne und das heim­li­che Töten von Men­schen­hand? Und wie den Hun­ger? Und wie das Schweigen?

Fol­gen­de Auf­nah­men wur­den am 22. April 2014 um 22.43 Uhr UTC nahe Grön­land von einer nor­we­gi­schen Ölplatt­form aus auf­ge­nom­men. Ich habe die­se selt­sa­men und beein­dru­cken­den Auf­nah­men auf der digi­ta­len Posi­ti­on: Lis­tening to The Deep ent­deckt. Geräu­sche jener Art, das ist denk­bar, waren mög­li­cher­wei­se unter dem Fjord­eis hör­bar zu einer Zeit, da Noe Moritz Pape in Uum­man­n­aq weilte.

 

 

 

/ Zeich­nung eines Moments
da eine Ton­auf­nah­me vom Eis
her auf­ge­nom­men worden
sein könn­te 
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walsichtungen

 

Mehr­fach wur­den in den ver­gan­ge­nen Jah­ren eigen­tüm­li­che Begeg­nun­gen mit rie­si­gen Walen berich­tet. Man sagt, jene Wale wür­den sich aggres­siv einer­seits, ande­rer­seits scheu benom­men haben, sie atta­ckier­ten ent­we­der, oder flüch­te­ten unver­züg­lich. Gel­be Mar­kie­rung ver­wei­se auf Kon­tak­te mit U‑Booten, die in 2 Fäl­len tra­gisch ende­ten. Die­se Welt­an­sicht der Nasa zeigt eine unge­fäh­re Über­sicht doku­men­tier­ter Spu­ren. Es ist hell auf dem Pla­ne­ten, wes­halb wir pola­re Eis­flä­chen bewun­dern dür­fen, die nach und nach ver­schwin­den werden.